09/03/25

WERKSTATT | DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG

Tauben fliegen auf

basierend auf dem gleichnamigen Buch von Melinda Nadj Abonji

Regie Glen Hawkins Dramaturgie Lea Seiz Bühne, Licht und Kostüme Kanade Hamawaki
Mit Alicia Bischoff 
Dauer ca. 70 Minuten, keine Pause 

Ein schokoladenbrauner Chevrolet fährt aus der Schweiz Richtung Vojvodina im Norden Serbiens. Dort, wo eine  ungarische Minderheit lebt, zu der auch die Familie Kocsis gehört. Oder eigentlich gehörte. Zuhause ist die Familie jetzt in der Schweiz, vor etlichen Jahren sind sie ausgewandert, erst der Vater und sobald es möglich war, auch die Mutter mit den beiden Töchtern, Ildikó und Nomi. Familienfeiern, Hochzeiten und Beerdigungen rufen sie immer wieder zurück in ihr altes Dorf, wo Mamika und all die anderen  Verwandten weiterhin leben. 

In der Schweiz sind die Kocsis zwar angekommen, aber nicht immer angenommen. Überraschend kann die Familie ein Café in bester Lage übernehmen und die Schwestern packen mit an, wo es nur geht. Doch die steten Erwartungen und der Anpassungsdruck seitens der Gäste und Eltern setzen besonders Ildikó zu. Im ehemaligen Zuhause, dem Balkan, bricht Krieg aus und die Verwandten geraten in Gefahr. Ildikó kämpft um ein selbstbestimmtes Leben und eine Identität, unabhängig von Herkunft, Religion und Pass. Als es im Café zum Eklat kommt, trifft sie eine Entscheidung ...

2010 wurde der Roman „Tauben fliegen auf“ der ungarisch-schweizerischen Autorin Melinda Nadj Abonji mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Geprägt von Erfahrungen der Migration und Emanzipation, schildert der Roman eine Familiengeschichte, die absolut erzählenswert ist. Regisseur*in Glen Hawkins begibt sich auf die Suche nach den Wurzeln von Ildikó und einem Europa, das sich in seiner Vielfalt endlich wahr- und annimmt.

Termine und Tickets

Hier gilt das Kulturticket

März
Sonntag, 09.03.2025 | 18:00 | Tickets (Premiere)
Donnerstag, 13.03.2025 | 20:00 | Tickets*
Freitag, 21.03.2025 | 20:00 | Tickets
Samstag, 22.03.2025 | 20:00 | Tickets

April
Dienstag, 01.04.2025 | 20:00 | Tickets
Sonntag, 13.04.2025 | 18:00 | Tickets
Dienstag, 15.04.2025 | 20:00 | Tickets
Mittwoch, 16.04.2025 | 20:00 | Tickets
Samstag, 19.04.2025 | 20:00 | Tickets
Sonntag, 20.04.2025 | 18:00 | Tickets

Mai
Freitag, 16.05.2025 | 20:00 | Tickets


*Ermäßigter Eintritt am Theaterspartag 

Pressestimmen

In ihrer Theaterfassung für das Theater Konstanz konzentrieren sich Glen Hawkins (Regie) und Lea Seitz (Dramaturgie) auf die Erzählerin, die zwischen der alten Heimat und der gegenwärtigen Erfahrungen des Fremd-Seins, mit denen sie immer wieder konfrontiert wird, aufgerieben wird. (…) Alicia Bischoff brilliert in dieser Solo-Performance in der geschickten Lichtführung von Kanade Hamawaki. Sie zeigt mit jeder Erinnerung eine gesteigerte Verletzlichkeit, die zugleich zu ihrer Stärke wird. (…)  Es entsteht viel mehr eine Geschichte über die Situation von Kindern der migrantischen Elterngeneration. Das gelingt beeindruckend.

Manfred Jahnke, Deutsche Bühne, 10.03.2025


Alicia Bischoff gelingt es spielend, Melinda Nadj Abonjis Sprache des Romans bis in die Fingerspitzen zu verkörpern. Sie verfügt über die Gabe, ihr Publikum von Anfang an zu begeistern und auf dialogische Weise mit einzubeziehen. (…) Die erzählerische Rekonstruktion von Idilkos Migrationsgeschichte zwischen dem alten Jugoslawien und der Schweiz wird selbst wieder zum Balanceakt, eine sinnhafte Idee. (…) Es ist die Poesie der kleinen Dinge, welche den Abend in Konstanz zu einem Großen macht. Mit der leidenschaftlichen Botschaft, als Mensch gesehen werden zu wollen, und nicht mehr als Migrantin, die sich anzupassen hat. Eine Botschaft, die in heutigen Zeiten so wichtig ist wie selten.

Bodo Blitz, Theater der Zeit, 13.03.2025

Rund ums Stück

Preview für Pädagog*innen
Freitag, 07.03.2025 | 18:30 | Werkstatt
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich via: junges-theater@konstanz.de 

Einführungen durch die Dramaturgin
Donnerstag, 13.03.2025 | 19:40 Uhr | Werkstatt
Dienstag, 01.04.2025 | 19:40 | Werkstatt
Dienstag, 15.04.2025 | 19:40 | Werkstatt

Gegen die Angst, dass Geschichte ausradiert oder verdrängt wird – Regie Glen Hawkins im Gespräch mit Dramaturgin Lea Seiz

Lea Seiz: Der Roman „Tauben fliegen auf” von Melinda Nadj Abonji ist 2010 erschienen und hat den Schweizer und Deutschen Buchpreis erhalten. Die Entscheidung, diese Erzählung in den Spielplan aufzunehmen, ist uns inhaltlich leichtgefallen. Glen, was hat Dich als Regie als Allererstes an diesem Roman angesprochen?

Glen Hawkins: Eine zentrale Faszination war für mich, wie „Tauben fliegen auf“ Erinnerungen in einen sprachlichen Raum verwandelt und welche Möglichkeiten sich für eine szenische Übersetzung daraus ergeben. Gerade zu Beginn habe ich mich gefragt: Was steckt alles in dieser Erinnerung, die zugleich eine Abrechnung mit einer Kindheit und einer gegenwärtigen Lebenssituation ist? Welche Art von Beschwörung einer verlorenen Vergangenheit findet hier statt? Dabei geht es nicht nur um das Erwachsenwerden und den damit verbundenen Verlust der Kindheit, sondern vielmehr um das Ankommen in einer neuen Sprache und einem neuen sozialen Kontext – ein Prozess, der die eigene Vergangenheit, die zum Narrativ wird, zu überdecken oder gar auszuradieren droht. Es ist ein Vorgang, der nicht linear verläuft, sondern vielmehr in Zeitsprüngen, Brüchen und Wiederholungen geschieht. Die Erinnerung formt sich im Erzählen selbst und verändert (sich). Es geht keineswegs darum, die Zerrissenheit dieser Geschichte zu glätten, sondern vielmehr darum, ein Kaleidoskop aus Stimmen, Orten und Zeiten erlebbar zu machen und mit der Angst
vor dem Vergessen zu ringen.

Mit wenigen Worten: Worum geht es in „Tauben fliegen auf“? Und bleibt dieser Kern in unserer Monologversion erhalten?

Sprache, Familie, lange Autofahrten, das Getränk „Traubisoda“, Identitätscrash und Ankommen (oder nicht und was bedeutet das überhaupt?). Und ich hoffe, dass der Kern erhalten bleibt, das wäre zumindest das Ziel.

Der Roman umfasst circa 300 und unsere Theaterfassung knapp 30 Seiten. Wie würdest Du die Aufgabe beschreiben, diesen Roman für eine Bühne zu adaptieren und dann auch noch als Einpersonenstück zu erarbeiten? Worauf hast Du Dich fokussiert?

Die Aufgabe diesen Roman zu adaptieren, bedeutete für mich vor allem eine Verdichtung der Erzählung, ohne dabei ihre Tiefe und Mehrschichtigkeit zu verlieren. Besonders herausfordernd war es, die Erzählweise und Sprachlichkeit beizubehalten und dennoch eine klare dramaturgische Linie für die Bühne zu entwickeln. Letztlich war es unser Ziel, nicht nur eine lineare Nacherzählung der Handlung zu schaffen, sondern den Text vielmehr als eine Erinnerungslandschaft zu betrachten und sich ihm als solche anzunähern. Heißt konkret, dass Erinnerungen unbemerkt auftauchen, sich überlagern, sich mit Reflexionen vermischen und dass die persönliche Geschichte der Hauptfigur Ildikó zu einem kollektiven Erleben von Migration, Sprache, Identitätskonflikten und der Suche nach Zugehörigkeit wird.

Wir haben öfter darüber gesprochen, dass sich die Erzählerin Ildikó zwischen mehreren Welten hin- und hergerissen fühlt. Welche Welten sind das und findet sie eine Lösung mit diesem Konflikt umzugehen?

Die Welten, die Ildikó durchlebt, stehen in einem engen Bezug zu einer Sehnsucht nach Zugehörigkeit, was eine fragile Konstruktion aus Sprache und Geschichte ist und immer neu erschaffen werden muss. Einerseits gibt es das alte Zuhause ihrer Familie in der Vojvodina, andererseits ihr Leben in der Schweiz. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit überlagern ihr Leben in der Gegenwart und gleichzeitig muss sie sich ständig gesellschaftlichen Erwartungen stellen, um Anerkennung zu finden. Und zugleich droht das Leben in der Schweiz einen Teil ihrer Identität, also ihre Wurzeln, Kindheit und Beziehungen zu Verwandten wie der Großmutter, zu überschreiben. Der Konflikt zwischen Herkunft und Zukunft, Familie und Selbstbestimmung bleibt bestehen. Die Vergangenheit ist nicht nur ein Ort, sondern auch ein Zustand der Unsicherheit. Die Rückkehr zur Großmutter Mamika zeigt, dass sich das Zugehörigkeitsgefühl nicht an äußeren Orten festmacht, sondern an Menschen und den Erinnerungen, die sie hinterlassen. Doch indem sich Ildikó erinnert und ihre Geschichte – in unserer Arbeit – nachspielt, nimmt sie ihr Schicksal in die eigene Hand. Sie kann die Vergangenheit nicht hinter sich lassen, aber sie kann sie neu verhandeln. Am Ende bleibt ihr Aufbruch als Versuch, sich selbst zu definieren und sich von ihrem bisherigen Schicksal zu emanzipieren.

Warum lohnt es sich gerade jetzt, diese Geschichte auf der Bühne zu erzählen?

Die Angst, dass Geschichte ausradiert oder verdrängt wird, ist ein zentrales Motiv des Stücks. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und kulturpolitischen Debatten darüber, welche Geschichten erzählt werden sollen – und der gleichzeitigen Rückkehr zu altbekannten Narrativen – empfinde ich einen großen Wunsch, sich einem solchen Text zu widmen und damit dagegen zu wirken.

Audioeinführung von Dramaturgin Lea Seiz

Content Note

Das Team des Theater Konstanz setzt immer wieder einen Schwerpunkt auf aktuelle Stoffe und Stücke zeitgenössischer Autor*innen. Das Verhandeln von gesellschaftlichen Konflikten ist uns wichtig und kann erlebbar machen, dass und wie unsere Wirklichkeit gemacht, hergestellt – und deswegen auch veränderbar ist. Diese Auseinandersetzung mit konfliktreichen Themen auf einer sinnlichen, gespielten Ebene kann und möchte bewegen.

Je nach persönlicher Sensibilisierung können solche Auseinandersetzungen als (zu) schmerzhaft empfunden werden. Im Sinne einer transparenten Kommunikation und im Bewusstsein darüber, dass Stückinhalte aufgrund von individuellen Erfahrungen verschieden erlebt werden, gibt es hier zusätzliche Informationen über Inhalte, die wir als sensibel einstufen. Diese Hinweise zu sensiblen Inhalten – auch Content Notes – weisen darauf hin, dass bestimmte Themen auf der Bühne verhandelt werden, die starke Reaktionen auslösen können. Ein Kritikpunkt an Content Notes ist, dass sie Teile der Inszenierung vorwegnehmen können. Im Sinne einer selbstbestimmten Entscheidung wird es im Folgenden jeder und jedem Einzelnen überlassen, die inhaltlichen Hinweise zu lesen oder nicht.

Tauben fliegen auf Content Note:
 
Die Inszenierung verhandelt auf sprachlicher Ebene das Thema Krieg sowie Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund. Während einer kurzen Sequenz kommen stroboskopähnliche Lichteffekte zum Einsatz.

Ildikó schaut auf eine Daunenfeder
Foto: Ilja Mess
Ildikó liegt auf dem blauen Regal und schaut den Betrachter über Kopf an
Foto: Ilja Mess
Ildikó balanciert
Foto: Ilja Mess
Ildikó hat die Daunenfeder gefangen
Foto: Ilja Mess
Ildikó am Mikrofon, im Hintergrund ist Nebel
Foto: Ilja Mess
Ildikó hält ein Schild "Open" in den Händen
Foto: Ilja Mess
Ildikó unter Spannung
Foto: Ilja Mess
Ildikó steht vor einer leuchtenden Nebelwand, mit dem Rücken zum Betrachter
Foto: Ilja Mess