Romana Lautner: Meine erste Frage gilt dem Titel: Wie bist Du auf „Nice“ gekommen?
Kristo Šagor: Ich hatte einfach Lust, einen Ein-Wort-Titel auf Englisch zu machen! Und „nice“ gehört durchaus zu meinem aktiven Wortschatz.
Romana Lautner: Ich mag das Wort „nice“ – auch seinen Klang. Wobei ich behaupten würde, der Titel führt auf die falsche Fährte, weil der Inhalt des Stückes nicht wirklich „nice“ ist.
Kristo Šagor: Es gibt immerhin ein Happy-End! Und mein Stück ist grundsätzlich versöhnlich und optimistisch darin, was menschliches Miteinander anbelangt. Aber ja, die Welt ist nicht „nice“. Als ich versucht habe, den Inhalt in einem Satz zusammen zu fassen, habe ich tatsächlich gesagt: „Das richtige Leben in der falschen Welt.“
Romana Lautner: Immerhin sagst Du nicht wie Adorno „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Insofern hast Du ein wenig Utopie im Stück …
Kristo Šagor: Weil ich daran glaube, dass Dinge gelingen. Mir wurde in meinem Leben vieles geschenkt. Und das nicht nur per Geburt – als gesunder Mensch aus dem globalen Norden, in der friedlichen Hälfte eines furchtbar unfriedlichen Jahrhunderts. Sondern auch durch ganz viele Begegnungen mit Menschen, um die ich mich kümmern darf, die sich um mich kümmern. Ich habe also die Erfahrung, dass Dinge gelingen und dass es „Zugeneigt Sein“ gibt. Aber davon auf die Welt rückschließen kann man nicht, nein.
Romana Lautner: Ich mag das Happy End. Aber ich glaube, dass man, wenn man mitten im Stück ist, eher nicht daran glauben kann.
Kristo Šagor: Ich war beim Schreiben auch überrascht, aber sehr glücklich, als mir der letzte Satz in den Sinn gekommen ist!
Romana Lautner: Nun haben wir uns ja gewünscht, dass Du für das Theater Konstanz ein Stück über „Gaming“ schreibst. Aus dieser Grundidee hast Du aber keineswegs ein geradliniges Stück gemacht. Ab wann hast Du gewusst, dass der Text noch viele Finten schlagen wird, noch viele andere Themen behandeln wird?
Kristo Šagor: Das habe ich sofort gewusst. Sowohl dramaturgisch, als auch inhaltlich. Wenn ich den Auftrag bekomme, über etwas zu schreiben, muss ich immer einen Umweg gehen. Ich brauche einen anderen Zugang. Ich habe mich gefragt: Worüber reden wir, wenn wir über Gaming reden? Was verdrängen wir, wenn wir nicht darüber reden? Wofür kann man das benutzen? Was wäre sinnvoll an diesem Thema festzumachen? Bezogen auf „Gaming“ ist das dann ganz speziell die Frage: Wovor laufe ich weg, wenn ich spiele? Was heißt Spielen in einer Gesellschaft, die sowieso spielesüchtig ist? Und dann war mir recht schnell klar: Ich versuche, so etwas wie einen ernsthaften Kassensturz zu betreiben.
Romana Lautner: Ein weiterer Wunsch von Theaterseite war: Bitte nicht moralisch werden!
Kristo Šagor: Das mache ich sowieso nie. Das wäre ja todlangweilig!
Romana Lautner: Ausgesprochen unmoralisch ist das Stück aber auch nicht geworden. Sucht zum Beispiel kommt nicht wirklich gut weg.
Kristo Šagor: Warum auch? Trotzdem kommt im Stück der Satz vor: „Jede Sucht ist ein misslungener Selbstheilungsversuch.“ Etwas Schöneres kann man über Sucht vermutlich kaum sagen! Gut, er enthält das Wort „misslungen“, aber auch das Wort „Heilung“.
Romana Lautner: Wir wollen nicht zu viel verraten. Aber es gibt viele Möglichkeiten, zu beschreiben worum es im Stück geht. Sergej Gößner, der Regisseur, spricht gerne von „Eskapismus“, wenn er das Stück schnell und prägnant zusammenfassen soll. Ich würde vielleicht als erstes „Liebe“ sagen.
Kristo Šagor: Richtig ist beides. Aber eben jeweils nur für einen Teil des Stückes.
Romana Lautner: Es gibt im Stück das schöne Wort „zugetan“. Und natürlich ist es klar, dass Du absichtlich nicht das Wort „Liebe“ verwendest“ – aber warum? Ist es Dir zu abgedroschen oder zu wenig stark?
Kristo Šagor: Das Wort „Liebe“ kommt in allen meinen bisherigen Stücken wirklich oft vor, ich benutze es auch privat jeden Tag, mehrfach. Es war keine bewusste Entscheidung, es in „Nice“ nicht zu verwenden. Der Begriff des „Zugetan Seins“ ist für mich größer als der Liebesbegriff, weil letzterer so überbordet ist mit Projektion, Konzepten, kitschigen Vorstellungen und verlogenen Enden. Diesen Resonanzraum bringt die Liebe mit und zum Beispiel auch eine Milliarde Songs, die eigentlich alle nur Kommerzscheiße sind. Im Gegenzug dazu ist das „Zugetan Sein“ wirklich ein ganz ernstgemeinter Move, der so, wie er im Text benutzt wird, auch etwas Antikapitalistisches enthält. Es geht nicht darum, dass ich Dich als Mittel benutze, sondern zu sagen, es gibt zwischen uns wirklich Schwingungen, eine wirkliche Verbindung. „Zugetan Sein“ in diesem Sinne bedeutet, dass ich mich hier und jetzt dafür entscheide, auf Dich zu schauen. Und wenn Du dann sagst: Ich bin traurig. Dann sag ich: Warum. Genau genommen ist es also ein Post-Liebesbegriff. „Zugetan Sein“ ist das, was übrigbleibt. Wir gehen gemeinsam durch die Welt. Und ich bin da, wenn Du Angst hast …
Romana Lautner: Zum Abschluss habe ich noch eine ganz wichtige Frage: Was sollen eigentlich die Kakerlaken im Stück?
Kristo Šagor: Die sollen Spaß machen! So einfach ist das.