In der Inszenierung von Kristo Šagor am Theater Konstanz führt Katrin Huke grandios die Wechsel zwischen Wahn, Demenz und klaren Momenten, die weh tun, vor. Eindrucksvoll entwickelt Huke für diese Wechsel eine hohe Intensität, die vergessen macht, dass Lanoye auch von Shakespeare übernimmt, dass in den starken Bildern psychologische Motivationen keine große Rolle spielen.
Für ihre Söhne gilt das ebenso. Thomas Fritz Jung spielt den ältesten Sohn Gregory aufbrausend, versucht dabei immer wieder seine Versagerposition, auch im Zusammenspiel mit seiner Frau Connie, der Nancy Mens-Offei herbe Töne gibt, zu leugnen: ein in jeder Hinsicht überforderter Mann, der sein Versagen brüllend zu verhüllen versucht. Hendrik hingegen, der zweitälteste Sohn, versucht, den Konzern zusammen zu halten. Ioachim-Willhelm Zarculea gibt dieser Figur joviale Züge, die aber mit Widerständen nicht umgehen kann. Das spiegelt sich in seiner Frau Alma, die Maëlle Giovanetti als distanzierte Beobachterin des Geschehens vorführt…
…Für die Rolle des Kent, der rechten Hand von Elisabeth, ist Sebastian Haase drei Tage vor der Premiere eingesprungen. Er macht das souverän stoisch, empathisch mit Elisabeth empfindend. Die Rolle des Narren bei Shakespeare wird in dieser Überschreibung zu Oleg, dem Pfleger, der in stummen Gesten während des gesamten Geschehens die Handlung die Ereignisse pantomimisch kommentiert. Peter Posniak macht das großartig zu einer Figur, die inmitten des Sturmes steht, aber an der alles abprallt und die doch einen wunderbaren humanen Humor behält.
„Königin Lear“ ist ein Schauspieler*innen-Stück. Die Regie von Kristo Šagor unterstützt dies, indem er allen Figuren eine feine psychologische Grundfärbung zu geben versucht, aber auch durch eine genaue Figurenführung.
Manfred Jahnke, Die deutsche Bühne Online, 29.5.2022
Shakespeares Herrscher steht auf festem Boden, in Konstanz dagegen lässt Regisseur Kristo Sagor besagte Unternehmenschefin (Katrin Huke) in den luftigen Höhen heutiger Vorstandsetagen schweben. Angelegt irgendwo zwischen Friede Springer, Susanne Klatten und Hillary Clinton, hält sie in blauem Hosenanzug auf einer frei im Raum hängenden Büroebene (Bühne: Iris Kraft) ihre Grundsatzansprache.
…man erfreut sich an der schieren Präsenz von moralisch fragilen, abgründigen Figuren, wie sie zuletzt aus der Mode gekommen waren. Das gilt vor allem für Katrin Hukes schneidige Interpretation einer Mutter, die ihre Menschlichkeit ans unmenschliche System des Kapitalismus verkauft hat – und sich nun von ihrem jüngsten Sohn wieder an ihr verdrängtes Gewissen heranführen lassen muss.
Johannes Bruggaier, Südkurier, 30.5.2022
Bei Schauspielerin Katrin Huke wird der Unruhestand zum Programm. …Mit unerschöpflicher Energie und Geistesgegenwart, mit immer wilderer Frisur bringt sie den Macht- und Kontrollverlust auf die Bühne, auch die Momente geistiger Verwirrtheit.
…Kristo Šagor legt das Drama als boulevardeskes Kammerspiel an. Die Bühne ist leer, abgesehen von einer aufgehängten Spielfläche (Bühne: Iris Kraft). Anfangs steht diese für den schwankenden Boden in der obersten Chefetage…
Bettina Kugler, St.Galler Tagblatt, 20.5.2022
In einer kühlen Bühnenästhetik zerfleddert Kristo Šagormit seiner präszisen Regie, mit einem wundervoll abgestimmten Ensemble den irrsinn eines Wirtschadftssystems, das egal unter welchem ideologischen Label, unseren Planeten in den Abgrund fährt, Katrin Huke als Elisabeth Lear verkörpert selbst noch in wirrer Demenz dieses System und macht daraus ein überragendes schauspielerisches Ereignis.
Wolfram Frommlet, Schwäbische Zeitung, 7.6.2022