Das beginnt mit Professor Van Hasselt – selbstredend in Pumphosen – seines Zeichens herumreisender Wissenschaftler, der über widernatürliche Phänomene unter besonderer Berücksichtigung des Vampirismus doziert. Verkörpert wird diese selbstverliebte Type von einem entfesselt als Rumpelstilzchen aufstampfenden Ingo Biermann, der auch in anderen Funktionen unverwüstliches Talent zeigt. Denn die Handlung wird in wechselnden Rollen des Ensembles immer wieder in neuen Bildern arrangiert und erzählt.
Das gibt Leuten mit genuin komischer Veranlagung, wie Patrick O. Beck in der Rolle des Maklers Nogg, die Chance, einen Charakter haifischartig zu überzeichnen – zum hörbar feixenden Vergnügen des Publikums.
… Schade für die Zuschauer, die nicht da waren. Denn sie haben eine entzückend zwischen herzigem Augenaufschlag und sonnigem Liebreiz vor sich hin schmachtenden Sarah Siri Lee König in der Rolle der Mathilda verpasst. Von Jonas Pätzold in Frauenkleidern als Linda-Marie ganz zu schweigen. Julian Mantaj – der als Norbertus Hutter ins Schloss des Grafen Orlok nach Transsilvanien geschickt wird, um mit ihm im Auftrag von Nogg einen Immobilien-Deal für Konstanz abzuschließen – zeigt sich akrobatisch wie schauspielerisch in bestechender Form.
… Luise Harder spielt ihre Figur als einzige nicht grell und karikierend. Wenn es bei der Konstanzer Inszenierung überhaupt eine wirklich schauerliche Figur gibt, dann ist es der unsicher, tastend, apathisch und fast wie in Trance wirkende Vampir selbst in all seiner Blässe.
Erich Nyffenegger, Nachtkritik, 19.6.2022
Stephan Teuwissen, der den historischen Stoff für Konstanz adaptiert hat, gibt dem Chor im Stück eine zentrale Bedeutung. Die einzelnen Figuren treten aus der Menge heraus und kehren kurz darauf wieder in den Chor zurück – so bleibt immer Bewegung in der Szene, ohne dass Schauspieler:innen inaktiv auf der Bühne verweilen müssten. Für das Ensemble eine physische Herausforderung – und das bei 32 Grad im Schatten!
Der Chor fungiert als Erzähler und Kommentator der Handlung. Er verstärkt und verzerrt die Botschaften der einzelnen Figuren. Dadurch wird viel Raum für Komisches geschaffen, der (im positiven Sinne) schamlos ausgenutzt wird.
Mélanie Hubers Inszenierung hat stark illustrativen Charakter. Die Regisseurin arbeitet mit (Stand-)Bildern, in denen die Darstellenden, ihre Gesten, Mimik und Geräusche sorgsam angeordnet und zu einem grossen Ganzen verbunden werden. Sie bietet dem Ensemble Gelegenheit, schauspielerisch aus den Vollen zu schöpfen…
… Eine Stärke der Inszenierung ist die Musik. Die Blaskapelle unter Leitung von Rudolf Hartmann gibt vielen ausdrucksstarken Szenen den letzten Wumms. Die Kompositionen von Sebastian Androne-Nakanashi fügen sich toll in das Feeling «film noir meets Addams Family» ein. Charleston, Polka, Wiener Expressionismus: Die Klänge sind nicht nur eine Reverenz an die goldenen Zwanziger, sondern stellen zugleich die Verbindung zwischen Bodensee und Transsilvanien her.
Franziska Spanner, Saiten, 19.6.2022
Es sind wenige Handgriffe, mit denen Teuwissen und Huber die unheimliche Begegnung der dritten Art in eine sehr irdische interkulturelle Versuchsanordnung verwandeln. Wie viel echtes Vampirblut in Graf Orlok fließt und was nur der Fantasie des verstörten Transsylvanien-Touristen entspringt – das zu deuten, bleibt dem Publikum überlassen.
… So viele großartige Szenen! Die daheimgebliebene Verlobte ist bei Murnau noch eine vor Sorge um ihren in die dunkle Wildnis reisenden Mann zerfließende Seele. Wie anders dagegen Sarah Siri Lee König als Mathilda (statt Ellen wie bei Murnau): Ob Hutter geht oder bleibt, ist ihr völlig egal. Aber entscheiden soll er sich endlich!
… Teuwissen beweist in seinem Stück eine bemerkenswerte Kenntnis der mentalen Abgründe dieser Stadt, erzählt die alte Geschichte mit einem Witz, der mindestens so bissfest ist wie Graf Orloks Unterkiefer. Regisseurin Huber vertraut bei der Verlebendigung dieser geradezu staunenswert gelungenen Textvorlage ganz auf ihr Ensemble. Und dieses dankt dafür mit wunderbaren Charakterbildern: von Julian Mantajs herrlich borniertem Anwalt über Sarah Siri Lee Königs als dessen feengleich über allen Abgründen schwebende Verlobte bis zu Patrick O. Becks Makler Nogg, der sich in seiner selbstverzehrenden Gier nach Ruhm und Geld fast die eigene Hand abkaut. Auch der allseits bekannte Typus der intriganten, dauerneidischen Nachbarin findet Platz: Jonas Pätzold stattet sie mit einer bestechend schlüssigen Symbiose aus Weinerlichkeit und Dreistigkeit aus.
„Nosferatu“ dagegen ist rundum stimmig, lustig, fantastisch schön – und sollte es darüber hinaus tatsächlich „teilweise schrecklich“ werden, so nur im allerbesten Sinne.
… Für Konstanz hat der rumänische Komponist Sebastian Androne-Nakanishi (an der Grenze zu Transsylvanien aufgewachsen!) eine Musik geschrieben, die mit der spätromantischen Vorlage des Originals bricht. Sein Mix aus Jazz, Wiener Moderne und östlichen Volksliedern erweist sich in der Darbietung einer Blaskapelle mit Schlagzeug als perfekter Soundtrack zum Vampirgrusel in heutiger Zeit.
Johannes Bruggaier, Südkurier, 20.6.2022
Als Freilichttheater vor der Kulisse des Münsters werden dabei Erzähl- und Spielebene so verflochten, dass sich immer wieder stimmige neue Tableaus ergeben – eine von Bildern inspirierte Technik der Regisseurin Mélanie Huber, deren Choreografie dem Auge schmeichelt und die dabei auch noch für Tempo und allerlei Kurzweil sorgt.
… Ob die eigens von Sebastian Androne-Nakanishi komponierte Musik sich jemals einfach kategorisieren lässt, sei dahingestellt. Denn der Komponist spielt eher mit Reibung als mit harmonisch daher kommenden Akkorden oder gar Melodielinien und nimmt dabei Anleihen aus dem Jazz der 1920er Jahre, dem Wiener Expressionismus oder der Volksmusik des Balkan.
… Die Reduktion der Mittel bei Kostümen und Bühne (Lena Hiebel) führt durch den aufmerksamen Blick der Regisseurin zur Intensivierung dessen, was gezeigt wird.
… Erstaunlich auch, wie der Raum choreografisch genutzt wurde, wie sich die Darstellenden auch durch ihre rein physische Präsenz in Stellung bringen. Herausragend durch die Kunst der Bewegung neben Ingo Biermann und Patrick O. Beck besonders Julian Mantaj, der sogar als Untoter noch sehr lebendig ins Geschehen integriert ist.
… Lang anhaltender Applaus für ein ziseliert ausgearbeitetes Freilichttheater auf historischem Konstanzer Boden. Und die Seitenhiebe auf das „bedächtige Konstanzer Blut“ lassen schon schmunzeln.
Brigitte Elsner-Heller, thurgaukultur, 20.6.2022
Das Ensemble wird heuer zum Ende der Saison auf den Platz unter freiem Himmel geschickt, um Stärken auszuspielen, die nicht nur an der Grenze zu beinahe akrobatischen Fähigkeiten liegen, sondern auch in einem Zusammenspiel, das Regisseurin Mélanie Huber die Möglichkeit gibt, die einzelnen Aktionen jeweils aus der Gruppe heraus zu entwickeln. Nicht verwunderlich, dass es kaum ein Bühnenbild braucht, derart perfektes, humorvolles, choreografisches Theater sieht man selten, wenn der Text dazu noch laufend nach exakten Einsätzen, gleichbleibenden Tonhöhen sowie gut abgestimmten Betonungen verlangt und der Slapstick nie zur Show verkommt.
Christa Dietrich, Vorarlberger Nachrichten, 25.6.2022
„Nosferatu. Eine Schauermär für lebendes Ensemble und Blaskapelle“, das Freilichtspiel des Theater Konstanz, ist eine Fundgrube für kulturbeflissene Anspielungssammler.
…Regisseurin Mélanie Huber inszeniert eine tiefsinnige Groteske…
Inka Grabowsky, St.Galler Tagblatt, 23.6.2022