Ein Felsen, der zu einer Seite hin aufragt. Er steht sinnbildlich für Aufstieg und Fall, für die Basis des Erfolgs, aber auch die Luft, die oben immer dünner wird, und für ein Mega-Projekt: Den Hyper-Alpenkanal. Wen der Name dieses Projekts an die Machenschaften der Hypo Alpe Adria Bank erinnert, der hat zumindest einen von Elfriede Jelineks Verweisen auf die politischen Skandale der heutigen Zeit entdeckt.
…Nach der Ouvertüre wird das Publikum hineingezogen in den Strudel aus Lügen und Intrigen, der sich zwischen den Figuren entspinnt. Die Kostüme werden farbig, die Dialoge pointiert und entlarven die Janusköpfigkeit der (Einfluss-)Reichen und Mächtigen am Ende des 19. Jahrhunderts wie heute. Die sprichwörtliche „Lady in Red“ geht um. Mit komödiantischer Raffinesse werden harte Brocken serviert: Ist es nicht die Idealisierung durch die Frauen, die ihre Männer zur Korruption treibt? Wollen wir nicht eigentlich gerne angelogen werden? Kann man es mit Ehrlichkeit überhaupt zu etwas bringen? Dem ‚Fußvolk‘ in Form der Serviermädel Lucy und Polly (beide: Sarah Siri Lee König) und der Butler Mason und Phipps (jeweils: Dominik Puhl) kommt in Fankes Inszenierung eine bedeutende Rolle zu. Mit der Präsenz der Beiden holt die Regisseurin die Goffman’sche Hinterbühne auf die Bühne und zeigt zugleich einen Spiegel für das Verhalten ihrer Hauptfiguren. König und Puhl machen ihre Arbeit grandios – ein Augenverdrehen, ein Kopfschütteln, ein betretener Blick kommt immer zur richtigen Zeit.
Franziska Spanner, Seemoz, 27.10.2020
Es sind diese hellsichtigen Momente, in denen Jelineks brillant assoziativer Sprachwitz eine Brücke vom viktorianischen ins digitale Zeitalter schlägt.
…Regisseurin Maya Fanke kreiert dabei eine hochnervöse Atmosphäre, die hypersensiblen Protagonisten sind jederzeit empörungsbereit, beschleunigen in Sekundenschnell von null auf hundert.
…Das Ensemble stürzt sich mit einer solchen Lust in die moralischen Widersprüche, führt die Figuren so pointensicher an die Grenzen ihres eigenen Tugendanspruchs – ja, baut auch die Schwierigkeiten der pandemiebedingten Distanz auf der Bühne originell ein -, dass man dieser Selbstentlarvung bis zum Schluss nicht überdrüssig wird.
Für die Darsteller liegt die Herausforderung nicht in der Authentizität ihrer Charaktere (die in einer gewollten Überzeichnung kein Maßstab sein kann), sondern im perfekten Timing, stimmigen Rhythmus, kurz: allem, was aus Klamauk erst Komik macht.
Patrick O.Beck als Lord Chiltern gelingt das mit wunderbar sprunghaften Stimmungswechseln. Demgegenüber zeichnet Kristina Lotta Kahlert in überzeugender Weise eine konsequent gefühlskalte Geschäftsfrau… …Großartig auch, wie Peter Posniak und Maëlle Giovanetti die moralische Unbedarftheit ihrer Figuren zur Geltung bringen.
…Eine Komödie ist Tragödie plus Zeit. Dieses Bonmot ist nicht von Oscar Wilde, sondern von Woody allen: in Konstanz wird es aufs Schönste bestätigt.
Johannes Bruggaier, Südkurier, 26.10.2020